Die überschätzte Gefahr von hinten

Viele Radfahrer haben Angst auf der Fahrbahn zu fahren. Warum ist das so?
Es gibt Studien die belegen, dass Rad fahren auf der Fahrbahn sicherer ist, als neben der Fahrbahn auf einem Radweg oder freigegebenen Gehweg. Radfahrer die neben der Fahrbahn fahren, werden schlechter wahrgenommen. Sei es durch Sichtbehinderungen (Bepflanzung, parkende Autos) oder weil man Dinge, die nicht vor Einem passieren, sondern neben Einem leichter ausblendet.

Oft spielt die Angst von Autofahrern oder LKW-Fahrern übersehen und deshalb überfahren zu werden eine bedeutende Rolle. Allerdings treten diese Art der Unfälle sehr selten auf.

Eine Auswertung der tödlichen Unfälle mit Radfahrerbeteiligung vom Jahr 2014 von Thomas Schlueter in der Usenetgruppe de.rec.fahrrad liefert sehr interessante Zahlen. Für alle Interessierten, die sich aber nicht mit dem Usenet auskennen, kann man hier auf das Thema zugreifen: de.rec.fahrrad.narkive.com
Er schreibt zu seiner Datenbasis:
„Ich habe auch im vergangenen Jahr erneut per google-Suche die verfügbaren Todesfälle im Zusammenhang mit Radfahrern erfasst. Die Erfassungquote dürfte beim Vergleich mit den amtlichen destatis-Zahlen wie für 2013 bei über 90 % liegen.“

Nachfolgend die Auswertung der Daten als Grafik aufbereitet.
Unfalltypen gesamt Radfahrer

F.-querung Fahrbahnquerung Radfahrer
Vorfahrtf. Vorfahrtsfehler Radfahrer u. KFZ
Überholen Auffahren / Überholen mit KFZ
Toter Winkel KFZ Rechtsabbieger / Toter Winkel
Bahnüb. Bahnübergang
Einfahren Fehler beim Einfahren von Radfahrern u. KFZ
Frontal Frontalzusammenstoß mit KFZ
Andere Sonstiges, Radfahrer vs. Radfahrer, Unklar
Solo Alleinunfälle

Unfalltypen Jahresvergleich 2013 2014 Radfahrer
Unfalltypen gesamt in Prozent 2014

An den Grafiken kann mehr sehr gut erkennen, dass Überholen/Auffahren nur 6 Prozent der tödlichen Unfälle im Jahr 2014 ausmacht oder in absoluten Zahlen 23 getötete Radfahrer (5 innerorts, 18 außerorts).
In ganz Deutschland sind 2014 innerorts durch Überholen/Auffahren 5 Radfahrer getötet worden.
Dagegen sind 36 Radfahrer durch die typische Gefahr von Radwegen ums Leben gekommen – KFZ Rechtsabbieger (Toter Winkel).

Bei fast allen von den 56 tödlichen Unfällen mit einer Fahrbahnquerung sind Radwege im Spiel. Kein Wunder, denn ab und zu wird man als Radfahrer auf Radwegen von einer auf die andere Seite geleitet. Auf der Fahrbahn fahrend wird man nicht einfach mal so die Fahrbahn queren müssen.
Einige der Alleinunfälle sind durch typische Hindernisse von Radwegen begünstigt. Bei einigen Unfällen in der Kategorie „Andere“ sind Radfahrer vom Hochbord abgerutscht und unter vorbeifahrende KFZ-Fahrer gestürzt. Alle Radfahrer vs. Radfahrer Unfälle sind neben der Fahrbahn aufgetreten.

Mit 27 Prozent (100 Gesamt) stehen die Alleinunfälle an erster Stelle. Hier findet man auch häufig gesundheitliche Gründe besonders von älteren Menschen als Ursache.

Es wird hier bestätigt, dass Rad fahren auf der Fahrbahn nicht gefährlich ist, sondern sicherer als auf Sonderwegen neben der Fahrbahn (Radwege, Gehwege).
Die Angst von hinten umgefahren zu werden ist unbegründet und jeder sollte das eigene Verhalten, was Radweg- oder sogar Gehwegnutzung betrifft, überdenken.

Ein großer Dank geht an Thomas Schlueter für das Zusammensuchen und Aufbereiten der Unfallmeldungen.

Wer sich selbst ein Bild über die einzelnen Unfälle inkl. Links zu den Meldungen machen möchte, kann hier das Dokument herunterladen: Excel-Liste (Autor: Thomas Schlueter)

Veröffentlicht unter Allgemein, Radwege Getagged mit: , ,
8 comments on “Die überschätzte Gefahr von hinten
  1. Norbert sagt:

    Ganz so einfach ist das nicht. Wirklich aussagekräftig wären nur Zahlen, die die Anzahl tödlicher (und schwerer Unfälle) je Straßenzug je gefahrenen km angeben. Genau genommen kann man sich das auch nur angucken für Straße, wo beides möglich ist.

    • Martin sagt:

      Man müsste schon einen Vorher Nachher Vergleich machen, wenn man das konkret untersuchen möchte. Aber was bringt das? Dann hat man ein Ergebnis, dass für die untersuchte Strecke gilt. Bei anderen Örtlichkeiten hat man ganz andere Gegebenheiten und das Ergebnis würde vielleicht anders ausfallen. Außerdem müssten in dem Zeitraum genug (schwere) Unfälle passieren, jeweils auf Radweg und Fahrbahn, damit überhaupt eine ausreichend große Basis an Daten zur Verfügung stehen, sonst ist der Zufall ein zu großer Faktor.

      • Norbert sagt:

        Das bringt mehr als diese Statistik, die am Ende mehr der Untermauerung einer Weltanschauung dient, als der empirisch basierten Meinungsfindung.

        > Man müsste schon einen Vorher Nachher Vergleich machen, wenn man das konkret untersuchen möchte.

        Finde ich nicht. Du kannst einen Straßenzug nehmen und die Anzahl Unfälle je Rad-auf-Gehweg-km mit Anzahl Unfälle je Rad-Auf-Fahrbahn-km vergleichen, um herauszufinden, wo es beim aktuellem Zustand sicherer ist. Dein Vorschlag zielt auf die Evaluation einer baulichen Maßnahme ab.

        > Bei anderen Örtlichkeiten hat man ganz andere Gegebenheiten und das Ergebnis würde vielleicht anders ausfallen.

        Man könnte bei ähnlichen Stellen dann aber halbwegs plausible Prognosen machen.

        > Außerdem müssten in dem Zeitraum genug (schwere) Unfälle passieren, jeweils auf Radweg und Fahrbahn, damit überhaupt eine ausreichend große Basis an Daten zur Verfügung stehen, sonst ist der Zufall ein zu großer Faktor.

        Stimmt. Deshalb kann man meine Erachtens ruhig ähnliche Straßenabschnitte zusammenfassen zu einer Gruppe.

        • Martin sagt:

          Das bringt mehr als diese Statistik, die am Ende mehr der Untermauerung einer Weltanschauung dient, als der empirisch basierten Meinungsfindung.

          Das sehe ich anders. Es wurden nahezu alle tödlichen Unfälle aus dem Jahr 2014 aufgelistet und ausgewertet. Die Auswertung 2013 ergab sehr ähnliche Ergebnisse.
          Fakt sind nun mal diese Ergebnisse. Alles andere ist Kaffeesatzleserei. Hast du verlässliche Zahlen, wieviel Prozent der Wege oder wieviel Zeit auf welchen Straßenteilen gefahren werden, dann her damit. Das gibt es aber nicht.
          Wer die Unfälle selbst auswerten möchte, kann dies gerne tun. Die Liste mit den einzelnen Unfällen ist ja verlinkt.
          Eine vergleichbare Auswertung gibt es sonst nicht. Eigentlich wäre das Aufgabe einer Behörde. Aber anscheinend ist man daran nicht interessiert.

          Wie sehen die Ergebnisse der Untersuchungen aus, so wie du sie dir vorstellst? Oder gibt es solche nicht?

          • Norbert sagt:

            Vorneweg: Mir geht es nicht darum, gegen das Fahrbahnfahren zu argumentieren. Mache ich ja auch mit Vorliebe, weil vieles dafür spricht.

            > Eine vergleichbare Auswertung gibt es sonst nicht. Eigentlich wäre das Aufgabe einer Behörde. Aber anscheinend ist man daran nicht interessiert.

            Stimmt. Oder ein Forschungsprojekt. Das können ein paar Aktivisten nicht nebenher machen.

            > Fakt sind nun mal diese Ergebnisse.

            Das die Ergebnisse stimmen, bestreite ich gar nicht. Die Frage ist nur, ob die Schlussfolgerung zulässig ist. In der Statistikklausur hätte ich die ziemlich sicher nicht ziehen dürfen. :-)

            > Hast du verlässliche Zahlen, wieviel Prozent der Wege oder wieviel Zeit auf welchen Straßenteilen gefahren werden, dann her damit. Das gibt es aber nicht.

            Habe ich nicht, bräuchte man aber für eine verlässliche Aussage zur Risikoabschätzung.

            > Wie sehen die Ergebnisse der Untersuchungen aus, so wie du sie dir vorstellst? Oder gibt es solche nicht?

            Diese Untersuchung wäre aber interessant und müsste daher erstellt werden. Aber das kann ich nicht mal eben nebenher leisten.

  2. Thomas sagt:

    Hallo Norbert, Hallo Martin,

    bitte bedenkt bei der Risikoabschätzung auch, dass grundsätzlich die Zahl der Unfälle mit abnehmender Unfallschwere zunimmt . Der Kegel dieser „Schwerepyramide“ ist jedoch nicht für alle Unfalltypen identisch ausgeformt. M.E. ist es so, dass die Pyramide bei den Überhol- und Rammstößen im Längsverkehr sehr viel schlanker ausfällt, als bei dem ganzen Kram, der Radfahrern bei der Sonderwegbenutzung so zustößt. Für Letztere hat die Pyramide somit unterhalb der auf Sonderwegen ja ebenfalls nicht wenigen fatalen „Leuchtturmfälle“ auch noch eine beeindruckende Basis von ganz erheblicher Breite.

    Tödliche Unfälle sind viel zu selten, als dass ich (egal auf welchem Straßenteil…) ernsthaft damit rechnen würde, selbst von einem betroffen zu sein. Aber Bagatellunfälle und solche mit leichten bis mittleren Verletzungen sind häufig genug dafür, dass ich unmittelbar davon profitieren kann, wenn ich mich für den „richtigen“ Straßenteil entscheide.

    Zur Illustration des soeben Geschriebenen habe ich folgende Abbildung hochgeladen:

    Die Daten meiner Exceltabelle, die Martin netterweise verlinkt hatte, finden sich übrigens auch seit Kurzem unter der folgenden permanenten URL als sortierbare Tabelle in einer Webseite (derzeit ist bis 27. April 2015 darin erfasst): . Bitte bookmarken!

  3. Norbert sagt:

    Hallo Thomas,

    ich habe mir jetzt die Grafik ausführlich angeschaut. Wenn ich das richtig verstehe, ist deine Aussage, dass der Anteil an Längsunfällen steigt, je schwerer die Unfallfolgen sind. Wenn die Zahlen stimmen, ist das wohl so. Soweit komme ich noch hinterher. Aber warum das jetzt gegen Radwege spricht, erschließt sich mir von der Logik her nicht.

    Kannst du bei der Tabelle noch eine Legende hinzufügen, damit man die Abkürzungen und Farben versteht?

    M.E. ist es so, dass die Pyramide bei den Überhol- und Rammstößen im Längsverkehr sehr viel schlanker ausfällt, als bei dem ganzen Kram, der Radfahrern bei der Sonderwegbenutzung so zustößt.

    Das wäre ein Hinweis darauf, dass dieser Unfalltyp schwerwiegendere Folgen hat als andere Unfalltypen. Wenn also dieser Unfalltyp auf einem Straßenteil nie auftritt, dann wäre es sinnvoll, diesen Straßenteil zu nutzen, wenn man nach individuellen Entscheidungspräferenzen vor allem die Wahrscheinlichkeit eines sehr schweren Unfalls vermeiden möchte. Nach dem was man so liest, ist p(tot) je zurückgelegten km auf Radwegen aufgrund der Rechtsabbiegeunfällen u. u. deutlich höher als p(tot) je zurückgelegten km auf der Fahrbahn. Dabei sind alle tödlichen Unfälle zu berücksichtigen. Für den Betroffenen ist es am Ende egal, was die Ursache war. Entscheidend sind die Folgen.
    Grüße

    Norbert

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